 | Prof. Dr. Christian G. Bien stellte eine aktuelle Studie über den Zusammenhang von Covid-19 und Epilepsien vor. (Foto: Paul Schulz) |
Die Patientengruppe stand im Fokus der Fachtagung mit rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die Corona-bedingt digital stattfand. Die Fachtagung wurde vom Epilepsie-Zentrum Bethel in Kooperation mit der Epilepsie-Akademie Berlin-Bethel, der Fachhochschule der Diakonie sowie Bildung & Beratung Bethel Corona-bedingt digital veranstaltet.
Dr. Christian Brandt lenkte die Aufmerksamkeit auf medizinische Aspekte – insbesondere auf die Verträglichkeit gebe es 14 Medikamenten-Studien zum Thema. Die Ergebnisse zeigten: Alle etablierten Antiepilektika wirkten auch bei diesen Patienten.
Nutzen und Risiko
Problematisch sei allerdings, dass Menschen mit geistiger Behinderung anfälliger für einige Nebenwirkungen seien. Oft würden sich das Verhalten verändern und die kognitive Leistung verschlechtern. »Das wirkt sich natürlich auf die Lebensqualität aus«, weiß Dr. Christian Brandt. Darum gelte es im Einzelfall bei der Medikamenten-Behandlung Nutzen und Risiko abzuwägen. »Die Balance muss stimmen«, so der Epileptologe.
Dr. Christian Brandt veranschaulichte das Problem am Beispiel eines 32-jährigen Patienten mit geistiger Behinderung und autischen Zügen. Dieser sei mit zwei Medikamenten in besonders wirksamer Kombination behandelt worden. »Bei der Basismedikation war der Patient müde, beeinträchtigt und häufig nicht in der Lage, die Werkstatt für Menschen mit Behinderung zu besuchen«, berichtete er. Die Angehörigen wollten daher eine höhere Anfallshäufigkeit tolerieren, um die Nebenwirkungen abzumildern. »Epilepsiebehandlung ist ein Prozess der gemeinsamen Entscheidungsfindung. Bedürfnisse und individuelle Ziele sowohl des Patienten als auch seiner Angehörigen müssen miteinbezogen werden.«
Epilepsien treten bei Menschen mit komplexer Behinderung wesentlich häufiger auf als bei anderen Menschen. Die Patienten haben oft schwer verlaufende Formen der Anfallserkrankung und komplizierte Krankheitsverläufe. Zudem sind Epilepsien bei dieser Personengruppe meist schwieriger zu behandeln. »Auch Begleiterkrankungen, wie zerebrale Bewegungsstörungen, Ernährungsstörungen, Harn- und Stuhlinkontinenz oder psychiatrische Erkrankungen müssen beachtet werden«, sagte Dr. Brandt. Erschwerend sei auch, dass Menschen mit komplexer Behinderung oft nicht in der Lage seien, über Veränderungen im Krankheitsprozess zu berichten.
Prof. Dr. Christian G. Bien, Chefarzt des Epilepsie- Zentrums Bethel, stellte eine aktuelle Studie vor, die einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Corona-Virus und dem Entstehen von Epilepsien untersuchte. Dafür wurden 644 stationär aufgenommene Covid- 19-Patienten beobachtet. Zehn bekamen während ihrer Krankenhausbehandlung Anfälle. »Das war aber keine beginnende Epilepsie, sondern es waren akut-symptomatische Anfälle im Rahmen einer Covid-19-Enzephalopathie, also eines krankhaften Zustandes des Gehirns aufgrund der Infektion«, erklärte er. Bei der Infektion könne es zu vorübergehenden Hirnschädigungen kommen. Epilepsie sei keine typische Folge von Corona, und selbst akut-symptomatische Anfälle seien selten.
Blick der Pflege
Pflegerische Aspekte bei komplexer Behinderung und Epilepsie stellten die Pflegefachkräfte Claudia Audehm und Evelyn Teich vom Epilepsiezentrum Kleinwachau vor. Das Epilepsiezentrum ist eine Einrichtung des Diakonischen Werkes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen. Claudia Audehm und Evelyn Teich arbeiten auf einer Station, die speziell für Epilepsie-Patienten mit schweren gei tigen Behinderungen konzipiert wurde. Die meisten Patienten haben Begleiterkrankungen und Störungen. Dazu zählen Beeinträchtigungen der Motorik und der Wahrnehmungssinne, Schluckstörungen sowie schwerwiegende psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen. Viele Patienten hätten einen hohen Anspruch an die Tagesstruktur und die Vermeidung von Reizüberflutung. »Wir sind sehr bemüht, alles so zu organisieren, wie sie es aus ihren Wohnbereichen kennen. Dadurch vermeiden wir Aggressionen und andere Verhaltensstörungen«, so Claudia Audehm. Wichtig sei zudem auch ein gutes Auge für die Krankenbeobachtung, da die Patienten oft nicht sagen könnten, was ihnen fehle.
Die Komplexität der Behandlung führt in Kleinwachau oft zu langen Liegezeiten – zum Beispiel aufgrund von Therapieresistenzen oder Medikamentenunverträglichkeiten. Darum bestehe die Gefahr der Hospitalisierung. Dieser würden sie mit einer sehr aktiven Alltagsgestaltung entgegenwirken, so die beiden Pflegefachkräfte. Die langen Liegezeiten hätten aber auch Vorteile, findet Evelyn Teich: »Wir haben viel Zeit für die individuelle Förderung unserer Patienten und für die Behandlung von Komorbiditäten.«
DER RING, August 2021, Gunnar Kreutner
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Quelle: DER RING, August 2021
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